17.12.2014

Verlauf I - Eine unerwartete Reise...

Mittlerweile wird es wieder kalt und dunkel. Eine gute Zeit, um vor dem Laptop zu sitzen und ein weiteres Kapitel über die letzten vier Jahre mit diesem täglichen Begleiter zu schreiben. Im Herbst 2010 hat dieser ganze Alptraum in seiner größten Intensität begonnen (vorher "öffnete er sich Stück für Stück" über ca. 3-4 Monate) und die Dämonen sind noch immer nicht verschwunden. Aber langsam fügen sie sich zu einem einzigen zusammen und ich finde Worte für das, was 37 Jahre lang erstarrt und zersplittert in mir schlummerte.

Der Titel dieses Kapitels ist nicht zufällig gewählt, weil einige Figuren und Ereignisse aus Tolkiens Welt von Mittelerde bzw. deren Verfilmung meiner Meinung nach metaphorisch sehr gut passen und mir eine Figur als imaginärer Beschützer in den dunkelsten Stunden geholfen hat. Ich werde mich also ab und zu auf einige Filmszenen aus der Trilogie beziehen. Eingefleischte Tolkien-Fans mögen mir bitte verzeihen, dass ich mich nur auf die Filme und nicht auf die Bücher beziehe ;) Auch mag es sein, dass ich einige Figuren oder Szenen nur oberflächlich streife, aber es geht mir hier um die Illustration von Sachverhalten, nicht um eine wissenschaftliche Abhandlung der Trilogie.

Diese Störung, die ja gleichzeitig der Heilungsprozess ist, gehört für mich bei allem Leid, was ich die letzten vier Jahre zeitweise durchgemacht habe, zu den interessantesten Phänomenen, was das Gehirn zu leisten vermag. Der oft unberechenbare, aber doch in sich logische Rhythmus, den die Seele dabei "vorgibt", die Schutzfunktion der Abspaltung, das therapeutische Ingangsetzen dieses Verarbeitungsprozesses mittels Konfrontation, die Beobachtung durch ein "Ich", (was tief hinein in die philosophische Frage führt: Wer ist eigentlich dieses im Therapieprozess ansprechbar bleibende "Ich"?), die Identifizierbarkeit der traumatischen Zustände (also was ist einfach eine "normale" Stimmungsschwankung und was ist ein traumatisches Wiedererleben?), das alles sind sehr faszinierende Vorgänge. Da ich mich sowieso nicht wirklich gut von diesen Erlebniswelten distanzieren konnte, also sehr oft vom Bann des Traumas eingenommen wurde, war mein Weg wohl die "Erforschung" dessen, was da in meiner Seele vor sich ging.

Um es mit den Figuren aus "Herr der Ringe" zu illustrieren, verwandelt sich das Trauma vom Ausbruch dieser Störung zum Ende hin vom Balrog von Morgoth zum Hexenkönig von Angmar. Weniger metaphorisch: Am Anfang ist es unfassbar, überwältigend, riesig und namenloses Grauen - sehr stark im Körper spürbar... die Zustände sind "hart" und "kalt", aber auch irgendwie noch "weit weg" vom "Ich". Um in der Szene des Kampfes zwischen dem Balrog und Gandalf zu bleiben: Manchmal wird man auch in die Tiefe gerissen, aber man überlebt und - um im Bild zu bleiben - danach ist man ein kleines Stückchen weis(s)er... und das Trauma kommt am hellen Licht des Ichs nicht vorbei. Zum Ende hin wird es tatsächlich thematisch immer wesentlicher, ekliger, konkreter, komplizierter und "bedrängt" das "Ich" stärker -  eher im Kopf verortet - es wird immer "anspruchsvoller" und die Zustände "wärmer" und "atmosphärischer". Sie haben oft auch nicht mehr so scharfe Grenzen.
Der Fürst der Nazguls ist also gerade mein "Endgegner" und es hilft mir, diesem Dämon der Dunkelheit, der mich im Moment fast permanent belästigt und versucht, mich mit seiner wankenden Normalität zu verhexen, eine konkrete Form zu geben. Seine seltsame Stimme im Film, das giftige Schwert und die Tatsache, dass er der Herr der Ringgeister (= traumatische Fragmente) ist, ist für mich eine sehr passende Symbolik. Im Moment sind es sehr häufig schwarze Nebel und seltsame Schleier, die mich bedrängen. Es fühlt sich an wie der "Vollkontakt" mit dem ganzen traumatischen Material. Nicht mehr auf einem Angstlevel von 10, sondern eher 1-2, dafür aber fast permanent.

Ungefähr die ersten zweieinhalb Jahre kamen die Fragmente einzeln (also nur Erstarrung oder Lähmung oder Panik oder Verzweiflung etc.) und relativ "scharf abgetrennt" von der restlichen Persönlichkeit an die Oberfläche. Das heißt: plötzlicher Beginn und Ende (entweder spontan oder Muskelzucken oder Weinen), sehr intensiv und dann war (meistens) wieder "Ruhe". Allerdings gibt es da auch noch drängende Gedanken und Gefühle, die nicht mit so viel Angst einhergehen, die aber trotzdem sehr unangenehm und nicht kontrollierbar sind. Wenn dieser Prozess einmal in Gang gesetzt ist, poltert alles unsortiert heraus wie aus einem überfüllten Bücherregal. Und jedes Buch will angeschaut und neu einsortiert werden. Dann fällt es manchmal wieder heraus und man muss sich nochmal bücken ;)
Die Phase der ersten zwei Jahre (vor allem nach Abbruch des Studiums) war für mich sehr dunkel und es gab und gibt immer noch Momente, wo ich dem Trauma unterliege, es also so stark drängt, dass ich die "geplante Aktion" nicht ausführen kann. So war es manchmal einfach nicht möglich, die Wohnung zu verlassen, weil die Lähmung einfach zu stark war. Dazu passt der Kampf mit dem Balrog atmosphärisch sehr gut. Riesiger Dämon, mächtig, umgeben vom dunklen Feuer, haust in den dunklen Minen, reißt Gandalf (meine Schutzfigur) in die Tiefe, obwohl man ihn schon besiegt glaubte... So fühlte sich das oft an in den letzten Jahren: Man glaubt, man hat gesiegt und dann kommt der feurige Dämon wieder, der sich aufbäumt und man muss sein helles Licht wieder entzünden, damit die Hoffnung nicht ganz erlischt.
Zu Beginn dachte ich noch (und ich glaube, so denken viele Nichtbetroffene über eine Angststörung), am Anfang ist alles ganz heftig und dann flaut die Intensität der Angstzustände nach und nach relativ linear ab. Leider weit gefehlt... und ich glaube, das hat einen Großteil meiner Frustration über diesen Prozess ausgemacht und mich auch nach drei Jahren (Winter 2013 / 2014) in eine suizidale Krise getrieben. Das Erregunsgslevel war - wenn man eine Skala von 0-10 ansetzt, in den ersten sechs bis acht Wochen bei 12 (am Anfang scheint es normal zu sein, dass man die absolute Hölle durchmacht) und dann baut sich jedes Thema über Wochen bis auf ein Level von 10 auf (bei mir drei Jahre lang). Dieser Peak wird ungefähr in der Mitte des jeweiligen Themas (man könnte es auch "Level" oder "Schicht" nennen) erreicht und da gibt es dann diese Tage und Momente, wo man dem Trauma unterliegt. Danach flaut das Thema ab und das nächste baut sich auf. (Allerdings darf man das nicht so verstehen, dass ausschließlich Fragmente aus diesem Thema auftauchen, dazwischen blitzen immer wieder andere auf oder neue "kündigen sich schon mal an". Aber ein Thema ist immer dominant.) Das bedeutet, dass ich - wider Erwarten - noch letzten Herbst (also nach über drei Jahren) mit Todesangst, Herzrasen und entsetzlicher Hilflosigkeit auf einem 10er - Level im Bett lag. Aber das schien das letzte Mal in dieser Intensität gewesen zu sein, denn an dem Tag hatte ich den Eindruck, fast alle Fragmente (später kamen noch einige hinzu), die ich vorher "kennengelernt" hatte, zeigten sich hintereinander, es "riss" also quasi "komplett auf". Ich brauchte ungefähr sechs Stunden, bis ich wieder einigermaßen klar denken konnte. Danach kam die Phase, in der sich die Fragmente von der Intensität her abschwächten, aber dafür verdichteten. Also nicht mehr 2-5 heftige Zustände am Tag, sondern 10-20, die fast jede Stunde auftauchten, auch in der Nacht. Also wieder vier Wochen lang nicht richtig schlafen können, immer wieder hochschrecken, den dunklen Winter meistern, Tag und Nacht Stalking durch das Trauma... das war die Phase, wo ich Kraft und Lebensmut verloren habe. Seitdem verdichteten sich die Fragmente weiter und es gab kaum Ruhe oder Ablenkung. Im Juli war ich auf einem Sommerfest, auf dem ich mich "eigentlich" ein wenig entspannen wollte. Leider wurde es ein ganzer Tag unter Dauerbeschuss mit einigen Sekunden von Ruhephasen... Als ich dann abends um 22:00 im Zelt lag, die Sommerabendluft riechen und die Sterne sehen konnte, gab die Seele endlich Ruhe und der Moment war einer der schönsten in diesem Jahr.
Der Leser kann sich vielleicht vorstellen, dass es sehr anstrengend ist, wenn man jahrelang täglich (und zu 80 - 90 % in Einsamkeit) kämpft und sich immer wieder unüberwindliche Wellenberge vor einem auftürmen. Konzentriertes, zuverlässiges Arbeiten war für mich nur sehr selten möglich. Das Problem bei dieser Störung ist auch, dass die Desensibilisierung nicht "aufeinander aufbauen" kann, weil die Themen wechseln und neue Anteile aus der Erstarrung kommen. Manchmal kam es mir vor wie ein Kampf mit der Hydra. Ist das eine Symptom "erledigt", tauchen zwei andere auf. Jetzt fühle ich mich nicht mehr ganz so hilflos wie vor einem Jahr, dafür muss ich mir 30mal am Tag die Hände waschen und kann nicht richtig essen. Es nervt! Ich konnte ein Jahr nach Ausbruch der Störung eine zweitägige Alpentour machen, aber im nächsten Jahr kaum noch einen Supermarkt betreten, weil das traumatische Thema "noch nicht an der Reihe war". Es ist unberechenbar! Man könnte auch sagen, die Seele ist sehr kreativ.

Ich konnte es am Anfang auch nicht so recht glauben, aber es ist im Rückblick tatsächlich so, dass man über einen sehr langen Zeitraum Level für Level aufsteigt wie bei einem Computerspiel... man wird immer besser, aber es wird immer anspruchsvoller. Schicht für Schicht, Thema für Thema "wird freigelegt". Immer mehr Teile des Traumas zeigen sich und fügen sich zusammen. Woran man das merkt? Das Körpergefühl ändert sich, wenn ein neues Level erreicht ist. Und jedes Level endete mit einer heftigeren Attacke, so als müsste es nochmal einen Punkt oder Ausrufezeichen setzen. Der Körper fühlt sich danach immer weicher und wärmer an, man friert nicht mehr so leicht, man fühlt sich ein wenig stärker, geistig beweglicher, präsenter, vollständiger. Die erstarrten Anteile lösen sich nach und nach aus dem unvollendeten Zustand, "reagieren sich ab", wollen verarbeitet werden und kommen zur Heilung.
Es ist wie eine Bugwelle aus Widerständen und Mauern aus Lähmung, die man vor sich herschiebt und die immer wieder ihre Richtung ändert. Auch dachte ich, dass diese ganzen Fragmente einfach völlig unsortiert und chaotisch auf einen einprasseln, aber ich konnte nach ca. drei Jahren doch ein einigermaßen logisches Schema erkennen: Am Anfang stehen eher die lähmenden Anteile wie Entsetzen, Erstarrung, Schutzlosigkeitsgefühle, dann (nach ca. zwei Jahren) tauchen die panischen Anteile wie Erstickungsgefühle, Zittern, Herzrasen auf und danach die "Post-Erregungs-Symptome" wie Übelkeit, Erschöpfung, Schmerzen usw. Natürlich nicht alles ausschließlich und völlig sortiert, aber jedes Thema drängt sich über Wochen "in den Vordergrund" bis es wieder abflaut. Interessanterweise zeigt sich nicht nur auf dieser Ebene des "Big picture" ein logisches Schema, sondern auch auf der täglichen "Mikro-Ebene": Wenn sich also nach einem vegetativen Reiz (z.B. Kaffeetrinken) kurz nach Ausbruch der Angststörung sehr schnell ein Symptom gezeigt hat, so "reagierten" die traumatischen Fragmente mit immer mehr Verzögerung und Veränderung auf diesen Reiz. Auch daran kann man den Fortschritt "ablesen". Und erst wenn sich alle Anteile aus dem Trauma gezeigt haben, hört es (vielleicht & hoffentlich) irgendwann auf, an die Oberfläche zu drängen.
Manche Fragmente brauchen nach einiger Zeit nochmal "einen Durchlauf" (nachdem sie auf "Standby" waren und verschwunden schienen), weil sie nach meiner Erfahrung noch nicht oft genug "angetriggert" wurden. Scheinbar hat jedes Fragment je nach Gewichtung der traumatischen Erfahrung eine bestimmte Anzahl an "Durchläufen", bis es Ruhe gibt. In einer relativ reizarmen Umgebung wechseln sich die einzelnen Fragmente scheinbar thematisch öfter ab, weil nicht ein Objekt im Vordergrund steht, was wiederholt ein bestimmtes Thema antriggert. (Zum Beispiel die Batterien, die immer wieder Vergiftungsangst auslösten.)
Manche Zustände brauchen fünf Minuten, manche Todesangst auch mal fünf Stunden, bis sie aufhören. Das bedeutet auch eine tägliche Neuverhandlung mit dem Trauma und den drängenden Gedanken. Erkläre ich dem Trauma zum hundertsten Mal, dass ich mir nicht zum zwanzigsten Mal die Hände waschen muss, um einmal ein Brot zu essen? Oder unterliege ich, weil es zu stark drängt? Mich hat das in letzter Zeit schon oft sehr frustriert, mit einem guten Hunger nicht zu Ende essen zu können, weil diese drängenden Gefühle, dass mit dem Essen "etwas nicht mehr stimmt" zu stark für mich waren.

Der Hexenkönig zückt sein flammendes Schwert und Gandalf unterliegt, aber er überlebt. 





14.12.2013

Was mir geholfen hat...

...will ich mal in diesem Kapitel für andere Betroffene niederschreiben.

Ich wurde oft gefragt: "Wie hält man das eigentlich so lange durch?" - Keine Ahnung, bei manchen Zuständen war es eher eine Frage des Überlebens. Klingt "dramatisierend", wenn man aber schon ein paarmal von Todesangst überschwemmt zuckend und frierend im Bett liegt und nur das Herz hämmern hört, wird einem klar, dass man diese Erlebnisse nicht wirklich in Worte fassen kann.
Mit diesem Stichwort komme ich also zu meinen "Survival-Tips" ;), die ich mir selbst im Laufe der Zeit zurechtgelegt habe: 

1) Der wichtigste Punkt zuallererst: Sei gut zu Dir!
Das ist so wichtig, weil es so einfach klingt und so schwierig sein kann.
Schon die Absage eines Spieleabends (weil man an dem Tag vielleicht gerade heftige Panikattacken hatte o.ä.) kann einem Gewissensbisse bereiten, aber wenn es nicht geht, geht es nicht! Du hast Dir diese Störung nicht ausgesucht. Wenn andere das nicht verstehen und Dir trotz Deiner Bitte um Nachsicht einen Vorwurf daraus stricken, ist das sehr traurig. Viele Menschen können nicht nachvollziehen, dass Du mit zum Teil unüberwindbaren Lähmungs- / Erstarrungs- und Angstzuständen zu kämpfen hast.
Sei stolz auf Dich, wenn Du zum Beispiel eine lange Bahnfahrt "überstanden" hast oder auch einfach nur den Gang zum Bäcker. Belohne Dich mit einer schönen Kleinigkeit. Gönne Dir einen guten Film (möglichst lustig ;), wenn ein Tag besonders schlimm war. Sorge für Deine Grundbedürfnisse ("Trocken, warm, satt, sicher")!
Verurteile Dich nicht auch noch dafür, dass Du im Moment eingeschränkt bist. Du hast es schon schwer genug.
Sei geduldig!
Ich dachte oft, jetzt bin ich "durch", die Angstzustände sind vorbei, aber es kamen immer wieder neue oder sich verändernde drängende, unkontrollierbare Fragmente aus dem Trauma. Am Anfang hat mein Therapeut gemeint, dieser Heilungsprozess kann bis zu zwei Jahre dauern, mittlerweile bin ich im dritten Jahr und ich würde jedem Betroffenen nach meiner Erfahrung lieber ehrlich sagen: Richte Dich auf fünf Jahre ein. 

2) Schütze Dich, auch wenn es für andere "überempfindlich" aussehen mag.
Es wird vielleicht Menschen aus Deinem Umfeld geben, die meinen, dass das alles doch schneller "weggehen sollte", dass Du "einfach mal wieder arbeiten solltest", dass "Du übertreibst", einfach "zuviel nachdenkst" und Deine Gefühle und das, was Du durchmachst, relativieren. Es kann Dir auch passieren, dass Dir von einigen Familienmitgliedern ein großes Maß an Abwehr entgegenschlägt, weil "nicht gewesen sein kann, was nicht sein darf." Das macht es zusätzlich schwierig zu ertragen, wenn man fragmentarisch noch einmal die Opferrolle durchlebt und davor die Augen verschlossen werden. Grenze Dich ab, so gut es eben geht und ohne Deine engsten Freunde vor den Kopf zu stoßen. Schütze Dich vor Allem vor Menschen, die sich aggressiv und grenzüberschreitend verhalten. Und die Leute, die meinen, sie wüssten sowieso besser Bescheid als Du (weil sie ja mal irgendwas über Trauma gelesen haben und Dir jetzt ihre Laienexpertise überstülpen wollen) können Dir egal sein. Zudem wird mittlerweile der Begriff "Trauma" schon für Niederlagen der Lieblingsmannschaft missbraucht und damit das Leid der wirklich Erkrankten auch hinsichtlich der Bedeutung relativiert.
Dieser "Gegenwind durch andere Menschen", wie Hengameh Yaghoobifarah das so treffend in einem Artikel in der Zeit bezeichnete, macht einige Situationen tatsächlich manchmal noch schwieriger, als sie ohnehin schon sind.
Einige Deiner "Schutzhaltungen" sind vielleicht auch nur vorübergehend und manche brauchst Du in ein, zwei Jahren auch nicht mehr. Nicht jeder kann alles an dieser Störung nachvollziehen oder verstehen (nicht umsonst heißt es auch "der Sturz aus der Normalität"), das ist ok. Dass viele nicht mit extremer Angst und Hilflosigkeit klarkommen, ist auch ok. Aber was Du erwarten kannst von Deinen Freunden, ist eine Form des Respekts und die Akzeptanz, dass Du nicht immer so kannst, wie Du willst! Du hast eine schwere seelische Verwundung erlebt, Dein Selbst- und Weltbild ist erschüttert worden! Es braucht sehr viel Zeit, bis diese Wunde wieder heilt.

3) Du bist nicht gestört, "das Trauma stört."
Was ich damit sagen will: Es gibt einen gesunden Pol in Dir, der massiv von diesen sich aufdrängenden Gedanken, Gefühlen, Bildern und Ängsten gestört wird. Du "verbeißt" Dich nicht bewusst in ein Thema, die Gedanken und Gefühle kommen von alleine. Und die "beißen" so lange, bis sie sich abreagiert haben. Du kannst diese Gefühle nicht einfach abstellen, Du musst Dich damit auseinandersetzen, was da so um Aufmerksamkeit schreit.
Vielleicht schreibst Du ein Testament, weil die Todesängste immer wieder drängen.
Oder Du beschäftigst Dich wegen der Vergiftungsängste verstärkt mit Ökologie... Sei kreativ!
Die drängenden Gedanken gehen nach einer gefühlten halben Ewigkeit wieder vorbei und dann kommt das nächste Thema. Manche brauchen nach einiger Zeit "einen erneuten Durchlauf". Auch jetzt, nach über drei Jahren denke ich oft noch: mein Gott, ist doch langsam mal gut, wieviel kommt denn da noch? Aber diese Anteile sind wie kleine Kinder, die so lange schreien, bis es gut ist und sie sich sicher fühlen. Deswegen kannst Du sie auch nur "an die Hand nehmen", obwohl Du schon längst weißt, dass keine Gefahr mehr droht. Ich weiß auch schon lange, dass ich keine Angst vor bestimmten Situationen haben müsste, aber diese unverarbeiteten Anteile von früher wissen es immer noch nicht.

4) Ernähre Dich ausgeglichen, magnesium- und vitaminreich!
Dein Körper muss massiven täglichen Stress bewältigen, hilf ihm dabei.
Verzichte auf Alkohol bzw. trinke nur wenig! Ich habe ein Jahr lang gar keinen Alkohol getrunken, weil ich es nicht vermisst habe und die Verlockung einfach zu groß ist, Stress und Angst damit zu betäuben.
Keine Benzodiazepine! Sie helfen kurzfristig vielleicht, aber halten langfristig den Heilungsprozess auf und machen süchtig. Es ist schwer zu akzeptieren, dass diese Intrusionen die Bruchstücke des Traumas sind, die nach Heilung streben und deswegen ins Bewusstsein drängen, aber dieser Verlockung, sie "wegzudrücken", sollte man nicht erliegen.
Trinke viel! Mindestens drei Liter am Tag.

5) Sei achtsam!
Das meine ich in vielerlei Hinsicht. Mir hat es sehr geholfen, jeden Tag eine Art Meditation einzubauen. Also für 10-20 Minuten einen warmen, bequemen Ort aufsuchen, sich hinlegen oder bequem sitzen, die Augen schließen und kurz den Körper, den Geist und die Gefühle "durchchecken": Was war heute an Angstzuständen da? Was haben sie ausgedrückt? Waren sie sehr schlimm? Haben sie sich verändert? Gab es eine Verbesserung? Was macht der Körper? Wo tut´s weh? Was braucht er? Wo sind Muskeln verspannt? Was macht der Geist? Was habe ich Neues dazugelernt? Was interessiert mich? Was möchte ich wissen?
Eventuell zusätzlich Dehnübungen einbauen. Musik hören, die Du brauchst. Ich sage das deswegen, weil viele nur "typische" Entspannungsmusik empfehlen. Es kann aber sein, dass Du völlig aufgewühlt bist und erstmal eine Runde Death Metal Dir besser hilft, runterzukommen. ;)
Achtsamkeit hat mir auch während der Zustände geholfen. Oft wird man von Angst überflutet, die körperlichen Symptome sind heftig und alles versinkt in Panik, weil der Körper im Fluchtmodus ist.
Dabei genau hinzuschauen, sich "zu erden", die Angst genau anzuschauen und zu beschreiben, erfordert einige Übung, aber es lohnt sich. Also, schau Dir die Angst genau an und beschreibe sie: "Ich habe wahnsinnige Angst, hier tot umzufallen, ich bekomme kaum Luft und es ist alles furchtbar und entsetzlich. Aber es wird gleich wieder vorbeigehen." Mir hat es auch geholfen, immer einen kleinen Spiegel dabei zu haben, um mich zu stabilisieren, weil oft Bilder auftauchen, in denen ich blau anlaufe und sterbe. So kann ich im Spiegel sehen, dass ich eine rosige Hautfarbe habe. Wichtig ist auch auf die Körperhaltung zu achten: Schultern bewusst entspannen, tief ausatmen und stabil stehen.
Bei sehr starken Zuständen, die bei mir immer wieder mal schubweise auftreten, hilft mir der schnelle "Bodycheck": a) Aussehen: rosige Hände und / oder Gesichtsfarbe -> ok!  b) Puls: schnell, kräftig und rhythmisch) -> bis 160 bpm ok!  c) Atmung: tief ein- und ausatmen möglich -> ok!
Fokussiere Dich auf das Hier & Jetzt!
Die Zustände gaukeln Dir immer die nahende Katastrophe vor... Krankheit, Tod, Verletzung usw. Versuche, Dich auch schon in den Zuständen auf das zu konzentrieren, was im Jetzt wirklich ist. Bist Du wirklich krank? Droht wirklich der Untergang? Trainiere die Fokussierung täglich!
Und zu guter Letzt: Sei achtsam und dankbar für jede hilfreiche Geste, für jeden schönen Moment der Ruhe, für Sonnenschein, ein gutes Essen, die Musik und die Liebe.

6) Such Dir eine Aufgabe, die mit Dir wächst.
Kauf Dir eine Katze oder richte Dir eine Ecke mit Pflanzen ein oder fang an, über Deine Erfahrungen zu schreiben ;)
Es geht darum, zu verstehen, dass es ein Prozess ist mit sehr, sehr vielen kleinen Schritten, die andere nicht sehen. Aber Du kannst sie spüren und würdigen. Und mir hat es geholfen, Begleiter zu haben, die mit mir wachsen und um die ich mich kümmere. Bei mir sind es die Pflanzen (am Anfang ein kleiner, billiger IKEA-Bambus, der jetzt fast zwei Meter groß ist), die Fotografie und das Schreiben. Daran kann ich meine eigenen Schritte manchmal besser wahrnehmen. Und indem man sich um andere(s) kümmert, hilft man auch sich selbst.
Du hast einen sehr langen Weg vor Dir! Und manchmal erscheint er unendlich. Einige Leute fliegen ans andere Ende der Welt, um zu sich selbst zu finden. Du kannst Dir das Geld sparen ;)

7) Sei offen!
Ein zwiespältiges Thema, mit dem ich sehr lange Schwierigkeiten hatte, weil ich einfach keine richtige Sprache dafür gefunden habe, was da alles in mir vorgeht. Und weil es einen täglich beschäftigt, kann es andere Menschen auch einfach irgendwann nerven. Trotzdem halte ich einige Punkte für sehr wichtig, die es gilt, offen zu vermitteln:
a) Sage klipp und klar, dass Du oft nicht so kannst, wie Du willst. Verspätungen, kurzfristige Absagen, Weinkrämpfe sind ab jetzt inklusive. Deine Seele sitzt manchmal im Rollstuhl. Punkt.
Mir ist bewusst, dass auch das soziale Umfeld unter diesen "Störungen im Betriebsablauf" leidet, dennoch war diese "Anspruchshaltung", die einige Leute an mich herangetragen haben, oft sehr verletzend und schwer zu ertragen. So nach dem Motto: "Ist ja schön und gut, dass Du gerade krank bist, aber ich möchte trotzdem, dass Du normal und zuverlässig funktionierst..." Das typische Problem der Unsichtbarkeit seelischen Leids.
b) Zumindest den Menschen, die Dir nahe stehen und wichtig sind, solltest Du offen vermitteln, warum Du manche Sachen nicht machen kannst. Also zum Beispiel, dass Du gerade nicht den Kaffee trinken kannst, weil jemand Dir gesagt hat, dass das Wasser aus Bleirohren kommt und sich plötzlich lähmendes Entsetzen und Angst vor einer Schwermetallvergiftung in Dir ausbreitet. Andere um Dich herum können ihn vielleicht sorglos trinken und wundern sich, warum Du ablehnst. Aber Du kannst halt gerade nicht. Ich habe mich auch oft dafür geschämt, so extreme Angst vor manchen Dingen zu haben, aber es tut gut, sich den Menschen, die einem nahestehen, zu öffnen. Du vermeidest damit, dass sie Deine Handlungen falsch interpretieren.
So sehr auch manche Gedanken und Ängste in Dein Bewusstsein drängen und dort hämmern, bis sie keine Kraft mehr haben: Überschwemm Deine Umwelt nicht damit. Jedem ist absolute Hilflosigkeit und Angst unangenehm. Versuche, sparsam zu vermitteln, was gerade in Dir vorgeht.
c) Bei einem Bewerbungsgespräch bzw. auf der Arbeit würde ich nicht allzu offen damit umgehen, weil es Dich unberechenbar macht. Die Störung ist nunmal relativ chaotisch und es war für mich mit der schwierigste Prozess zu akzeptieren, dass ich mich nicht auf mich selbst verlassen kann was z.B. Konzentration, Pünktlichkeit und Motivation angeht. Auf der anderen Seite merken aufmerksame Beobachter sowieso, dass Du ab und zu "weggetreten" bist oder zitterst.
Ich denke, gerade in diesem Bereich musst Du für Dich entscheiden, welchen Weg Du gehst. Ich habe mit dem offenen Umgang auch im Freundeskreis mal schlechte Erfahrungen gemacht, manchmal gute.

8) Bewege Dich!
Die traumatischen Fragmente lösen sich unter Anderem aus dem Körpergedächtnis durch Bewegung. Peter Levine hat diesen Vorgang in seinem Buch "Sprache ohne Worte" ausführlicher beschrieben. Also wenn sich etwas anbahnt und anfängt zu drängen, scheint es auch schneller vorbeizuziehen, wenn man sich bewegt. Ich habe mittlerweile auch die Erfahrung gemacht, dass in bestimmten Haltungen einige Bilder und Zustände auftauchen und dass man diese durch eine "Gegenbewegung" dämpfen oder sogar beenden kann. Meiner Erfahrung nach ist die Kombination aus Radfahren (oder Laufen) und Yoga am Besten. Die traumatische Reaktion "steckt fest" und der Anstieg der Herzfrequenz sowie die Dehnung der Muskeln scheint diese traumatischen Fragmente anzutriggern und mit dem tiefen, bewussten Atmen kann man die Beruhigung und Fokussierung üben. Allerdings werden bei mir diese Angstzustände erst jetzt - nach über zwei Jahren - langsam "beherrschbarer".

9) Erwarte kein absolutes Verständnis!
Niemand wird nachvollziehen können,
dass Du unter der Dusche Erstickungsängste hast,
dass Du entsetzliche Angst vor Batterien oder Schuhen hast,
dass Du bei eigentlich schönen Erlebnissen plötzlich anfängst zu weinen,
dass Du es zweitweise nicht schaffst, Deine Wohnung zu verlassen oder pünktlich zu sein,
dass Dir Dein Körper in bestimmten Situationen einfach nicht gehorchen will,
dass die Angstthemen sich abwechseln,
dass der Prozess der Heilung so lange dauert,
dass es mit 20 Stunden Therapie, Klinikaufenthalt und Medikamenten nicht einfach "abgehakt" ist...
...und vieles mehr.
Du bist aus der Normalität gestürzt, alles Selbstverständliche ist ins Wanken geraten.
Bleibe bei Dir, nur Du kannst die wechselnden Zustände beobachten und spüren, wie sie sich verändern und abreagieren. Von außen betrachtet sieht es fast immer gleich aus. So als würde nie etwas "vorangehen". Manchmal habe ich mir auch gewünscht, dass andere doch sehen könnten, was für einen täglichen Kampf ich mit diesen Zuständen seit Jahren führe, dass jemand meine Tränen der Verzweiflung und der Einsamkeit wahrnimmt, aber es bleibt nur die Möglichkeit, eine Sprache dafür zu finden.
Es gibt sehr besondere Menschen, die Dich geduldig und liebevoll auf diesem sehr langen Weg begleiten, ohne Dich zu drängeln, ohne alles zu verstehen, aber das Ver-rückte in Dir akzeptieren können... und das sind wahre Freunde. Aber es wird auch Menschen geben, die mit Ungeduld und Unverständnis reagieren und sich abwenden, weil sie den Eindruck haben, Du müsstest Dich einfach mal zusammenreißen (siehe "Hitparade"). Das ist bitter, aber auch so lernt man das Loslassen.

10) Verzweifle nicht an diesen Zuständen!
Diese traumatischen Fragmente sind schon schlimm genug. So schwer es auch ist, verzweifle nicht daran, dass sie kommen und gehen, wann sie wollen, dass sie für eine sehr lange Zeit die Regie über Deine Stimmung übernehmen und dass sie Dein Leben und Erleben stark einschränken. Es ist ein Entladungsprozess der Seele, diese verwundeten Anteile streben zur Heilung und brauchen dafür liebevolle Achtsamkeit. Es ist sehr wichtig, sich das immer wieder bewusst zu machen, sonst kann sich dieser ungünstige Kreislauf aus "Angst vor der Angst" entwickeln, der mich auch oft genug an die untere Grenze meiner Lebensfähigkeit gebracht hat.
Gib den Zuständen die volle Aufmerksamkeit, wenn sie hochkommen! Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sie schneller vorüberziehen / schneller aus dem Körper "herauskommen", wenn man sich zum Beispiel  bewegt oder kurz die Augen schließt, tief durchatmet und versucht, alles, was da kommt, aufsteigen zu lassen. Sozusagen kurz "erden" und erst dann wieder in den Alltag eintauchen. Für diese täglichen, belastenden Unterbrechungen solltest Du Dir diese kleinen Übungen zurechtlegen.
Einige aus Deiner Umwelt werden Dir vielleicht raten, doch endlich mal loszulassen. Aber vor dem Loslassen kommt das Zulassen. Das Trauma lässt Dich erst los, wenn es soweit ist.

11) Sorge für Deinen Schlaf!
Häufige Alpträume, schweißgebadetes Aufwachen, Zähneknirschen, Einschlafstörungen... das nächtliche Angebot ist groß ;) Wenn Du gar nicht schlafen kannst (bei mir war das vor allem einige Wochen bei Ausbruch der Störung so), besorge Dir ein kleines Licht, was nicht zu hell ist. Mir hat da eine Lampe mit Farbwechseln geholfen, weil mir wichtig war, dass der Raum nicht völlig dunkel ist. Lege Dir abends ein paar Kleinigkeiten ans Bett, die Dir bei Angst und Panik in der Nacht helfen. Das kann ein Talisman sein, der MP3-Player mit ruhiger Musik, eine Flasche Wasser, ein Stück Seife, das gut riecht (z.B. Zitronenmelisse) oder Ähnliches. Der Schlafplatz sollte gemütlich sein (warmes Licht, keine Energiesparlampe) und Dir das Gefühl von Sicherheit geben. Mir hat auch das gleichmäßige Ticken einer Armbanduhr geholfen, aber das muss jeder für sich entscheiden.

12) Suche Dir eine Konstante!
Was ich damit meine, ist irgendein tägliches Ritual, woran Du Veränderung / Verbesserung "messen" kannst. Für mich war es die vergangenen Jahre über eine furchtbare Quälerei, gegen Lähmungs-, Erstarrungs-, Erstickungsgefühle etc. anzukämpfen, um die Wohnung zu verlassen (und manchmal musste ich auch nach einer halben Stunde inneren Kampfes erschöpft aufgeben). Aber ich habe es täglich versucht, um irgendwann das "Abebben" dieser Gefühle zu spüren. Zusätzlich ist ja diese Unberechenbarkeit (wechselnde Themen, wechselnde Intensitäten, verschiedene Anteile, Verlauf in Schüben) sehr belastend. An einem Tag ist mir zum Beispiel ein Vorstellungsgespräch noch so leicht gefallen und am nächsten Tag kam wieder so viel Furchtbares hoch, dass für regelmäßiges Arbeiten plötzlich wieder Kraft und Konzentration fehlte. Es ist auch ok, wenn es mal einen Tag nicht geht, weil es zu überwältigend ist, aber es sollte eine regelmäßige Übung sein. Und es wird ein langer Weg ;)

13) Achte auf Deine Zähne!
Ich habe mir durch die wiederkehrenden heftigen Alpträume zwei Zähne zerbissen. Also ich rate Dir aus meinen Erfahrungen zu Beißschiene, Entspannungsübungen und Physiotherapie. Außerdem ist Schokolade in einigen Phasen zu meinem besten Freund und der einzigen gut verträglichen "Droge" geworden ;)

14) Hör Deine Musik! Schreie, weine oder singe dazu!
Scheißegal, was die Nachbarn denken. Es spielt keine Rolle, ob Du singen kannst. Brüll zu Sepulturas "Desperate cry", singe zu Queens "The show must go on", weine zu Pink Floyds "Hey you"! Das, was an Schmerz, Verzweiflung und Angst in Dir steckt, will raus... und vielleicht ist dein Nachbar zufällig Produzent und beeindruckt von Deiner ausdrucksstarken Stimme ;)

15) Täterkontakt: Mit einem Wort: Nein!
Jedenfalls nicht während der laufenden Therapie bzw. des Heilungsprozesses. (Es sei denn, Du willst Sprachlosigkeit, Ohnmacht, etc. immer wieder erleben.)

16) Vergleiche Dich nicht mit anderen! (oder auch: "Warum ich?!?")
Während andere im Biergarten den Sommerabend genießen, liegst Du heulend im Bett, weil Du gerade von quälenden Ängsten und Bildern überschwemmt wurdest? Während sich andere an der Familienplanung vergnügen, versuchst Du seit einer Stunde gegen das Erstarrungsgefühl anzukämpfen, um die Wohnung zu verlassen?

Tja, das Leben ist unfair!
Warum Du? Weil Du stark genug bist.


Ich habe mich oft gefragt, was "bringt" einem diese Störung? Wie kann man davon "profitieren"? Von meiner Seite aus kann ich nur sagen, dass sie am Anfang viel kaputt gemacht hat (Studiumsabbruch, Belastung für Partnerin, Arbeitsunfähigkeit, Vereinsamung...), aber dass ich im Laufe der Zeit die kleinen Dinge des Leben schätzen gelernt habe. Ich entscheide mich klarer als früher, schaue bei Freundschaften genauer hin und sage ohne schlechtes Gewissen öfter mal "Nein". An manchen Tagen kann das Essen eines leckeren Apfels oder ein Moment der Ruhe im Kopf, das "störungsfreie" Lesen eines Kapitels in einem lustigen Buch schon ein echtes Highlight sein.
Und es ist eine sehr weite Reise an die äußersten Grenzen der Belastbarkeit und der Normalität, die ich in den intensivsten Zuständen ohne Übertreibung als Nahtoderfahrung bezeichnen würde.
Ich bin überzeugt davon, dass diese Erlebnisse letztendlich ein (sehr langer) Weg zu Gelassenheit und Weisheit sein können. 

03.11.2013

Hitparade "gutgemeinter" Ratschläge

In der Selbsthilfegruppe kam die Idee auf, die besten "Ratschläge" - mehr oder weniger geduldig von der Umwelt an Menschen mit seelischen Störungen herangetragen - zu sammeln. Ja, sie sind zum Teil wirklich gut gemeint, aber zum Teil dienen sie auch nur dazu, den Ratgebenden zu "entlasten", nach dem Motto "Ich hab´s ihm / ihr ja gesagt. Wenn er / sie es nicht umsetzt, selber schuld!" Anstatt den Hilfsbedürftigen partiell zu entmündigen, wäre erstmal die Frage: "Was brauchst Du denn jetzt?" für viele Betroffene schon sehr erleichternd.

Hier also sind sie (Achtung, Sarkasmuswarnung!): 

Auf Platz 1, immer noch unangefochten: 
"Stell Dich nicht so an!" Gerne auch: "Reiß Dich doch mal zusammen!" (Klar, die Kliniken dieses Landes sind voll mit Leuten, die einfach faul sind und keinen Bock haben, rauszugehen, weil das Schwimmbecken so schön warm und das Essen so lecker ist! Lieber Leser, wie lange steht Dein Altglas schon in der Ecke und wie oft wolltest Du das nicht schon wegbringen? Wie sieht es denn aus mit Deinen guten Vorsätzen, sich doch endlich mal im Fitnessstudio anzumelden? Ist plötzlich alles doch nicht mehr so einfach? ;) Keine Sorge, Du bist nicht alleine.)

Dicht gefolgt von Platz 2: 
"Mach Dir doch nicht so viele Gedanken, dann geht´s Dir besser!" (Es soll ja Menschen geben, die klappen einfach ihr Gehirn auf, gehen zum Sicherungskasten, drücken den grünen und den roten Knopf und schweben dann glückselig davon.) 

Die Bronzemedaille geht an: 
"Das kann doch nicht sein." oder "Das glaub ich Dir nicht." Steigerungsform für Fortgeschrittene: "Du benutzt das als Ausrede / Entschuldigung, um nicht arbeiten zu gehen, usw." (Im Alltag wird die Formulierung, dass das doch nicht sein könne, eigentlich zu 90 % von Mitarbeitern der Serviceabteilung deutscher Elektronikgroßmärkte verwendet, um defekte Geräte nicht zurücknehmen zu müssen. Im Zusammenhang mit seelischen Störungen ist diese Formulierung aber besonders schmerzhaft, weil sie die Wahrnehmung des Gegenübers, der sowieso schon leidet, auch noch als "falsch" darstellt.
Um das Fass noch weiter aufzumachen, sei in diesem Zusammenhang auf das Thema "Gaslighting" hingewiesen, das sicher eine sehr drastische Form von destruktiver Kommunikation darstellt. Diese wird auch in mehr oder weniger drastischer Form von den Eltern traumatisierter Personen angewandt, um eventuelle Schuld und Verantwortung für das auslösende Ereignis erneut auf das Opfer abzuwälzen. "Du hast als Kind ja so wenig eingefordert." / "Du siehst das falsch / kannst Dich doch gar nicht erinnern." Ironischerweise legen sie damit genau das Verhalten an den Tag, welches das Trauma mitverursacht haben könnte und das sie so verzweifelt versuchen abzustreiten.)
Viele Menschen versuchen, möglichst schnell Unangenehmes abzuwehren und zu relativieren, weil sie sich nicht vorstellen können, was man bei einem "Sturz aus der Normalität" alles erlebt.

Nummer 4 der Hitparade: 
"Ängste hat doch jeder. / Niedergeschlagen ist doch jeder mal." (Diese Aussage ist ebenso richtig wie wenig hilfreich. Natürlich ist Angst ein Gefühl, dass wohl jeder mehr oder weniger kennt. Aber genau um "mehr oder weniger" geht es bei seelischen Störungen. Wenn man sich den kleinen Finger verstaucht, kann man noch Shoppen gehen. Mit einem gebrochenen Bein wird das schon schwieriger. Niemand sucht sich seine Störung aus, die Seele spielt einfach manchmal (mehr oder weniger heftig) nach eigenen Regeln.) 




... to be continued. 

16.01.2013

Was ist ein Trauma?

Im Internet existieren viele Definitionen des Begriffes "Trauma" und wie es entsteht, unter anderem hierhier oder hier

Ich möchte an dieser Stelle eine etwas abgeänderte Definition formulieren:

Ein Trauma ist ein Ereignis, was in dem Moment extreme Angst, Hilflosigkeit und Entsetzen auslöst und in seiner Gesamtheit die seelischen Verarbeitungskräfte übersteigt. Dies hat eine schwere Erschütterung der seelischen Integrität  zur Folge.
Um das Bewusstsein vor diesen Eindrücken zu schützen, können sie vom normalen Bewusstseinsstrom "abgespalten"  werden und erstarren unverarbeitet in einer Art Kapsel, die a) bei Situationen, die an das Trauma erinnern, plötzlich "aufplatzen" (Betroffene "drehen durch") oder b) unter günstigen Umständen, die normalerweise als positiv erlebt werden, langsam "aufschmilzen" kann. Bei mir hat es sich langsam angekündigt und wurde innerhalb von einigen Monaten dann immer heftiger.

Diese scheinbar paradoxe Auslösung von traumatischem Erleben (Intrusionen) durch eigentlich positive Ereignisse, wie im letzten Satz dargestellt, ist meines Erachtens einer der zentralen Ansatzpunkte, um ein Verständnis für traumatisierte Menschen zu entwickeln. 
Denn auch die guten Ratschläge (Sport, Sauna usw.) für ein besseres Wohlbefinden, z.B. bei einer depressiven Verstimmung, wirken nur sehr bedingt. Ich habe es eigentlich ausnahmslos so erlebt, dass durch die beiden genannten Aktivitäten Flashbacks getriggert wurden. Man kann sich das so erklären, dass die Seele besonders dann mit dem belastenden Material um sich wirft, wenn man gerade stark genug dafür ist. Nicht umsonst wird ein Trauma auch mit dem "Sturz aus der Normalität" umschrieben. Es gibt also sowohl positive wie auch neutrale oder negative Situationen, die Flashbacks auslösen können. Vieles, was für gesunde Menschen normal ist (z.B. das Haus verlassen, mit Batterien hantieren, das Auto betanken) kann für Menschen mit einer PTBS ein unüberwindliches Hindernis darstellen, weil das Angstlevel unüberwindbar hoch  ist. Für Außenstehende ist das schwer nachvollziehbar (es ist ja "nur etwas Seelisches"), aber es gibt im Rahmen dieser Störung tatsächlich Zustände, die den Körper lähmen und den sogenannten "freien Willen" massiv beeinträchtigen. Also auch die Überforderung der Verarbeitungskräfte wird fragmentarisch wiedererlebt. 

Soweit ich weiß, gibt es Menschen, bei denen diese Kapsel (oft spricht man auch vom Körpergedächtnis) quasi verschlossen ist, sie also gar nicht wissen, dass sie mit einem Trauma leben. Dennoch können die traumatischen Gefühle durch ein Ereignis sehr plötzlich zum Vorschein kommen. Zum Beispiel wenn ein älterer Mensch, der im Zweiten Weltkrieg verschüttet war (dies aber nicht mehr weiß), bei einer MRT-Untersuchung im Krankenhaus durch die Enge und die Geräusche in der Röhre plötzlich panische Angst bekommt und um sich schlägt, weil die Situation dem traumatisierenden Ereignis so ähnlich ist.

Die meisten Menschen verändern sich aber nach dem Trauma, können sich allerdings meist nur bruchstückhaft an das Ereignis erinnern. Soldaten sind nach der Rückkehr aus dem Einsatz plötzlich viel leichter reizbar, schlafen schlecht, berichten von Alpträumen und dass sie "diese Bilder nicht mehr aus dem Kopf bekommen."
Frühkindlich Traumatisierten ist der "Zugriff" auf ein auslösendes Ereignis und die dazugehörigen Bilder zusätzlich durch die infantile Amnesie verwehrt, dennoch wird die unvollendete Angstreaktion / Erstarrung natürlich "im Körper gespeichert."  Hier gibt es bestimmte Verhaltensweisen als Kind und Erwachsener, die Rückschlüsse auf die Art des frühkindlichen Traumas (problematische Schwangerschaft, sexueller Missbrauch und / oder schwere Vernachlässigung) zulassen. 
Diesbezüglich scheint es immer noch Menschen zu geben, die glauben, traumatische Ereignisse im frühkindlichen Alter seien "weniger schlimm" als das, was z.B. Soldaten erlebten bzw. man könne sich doch gar nicht erinnern, also wäre eine Traumatherapie doch nur "Kaffeesatzleserei" usw.
Ich will es mal höflich ausdrücken: Menschen mit dieser Einstellung scheinen nicht zu wissen, dass Säuglinge sehr grundlegende Gefühle von Freude, Angst, Schmerz, Hunger usw. empfinden können und in den ersten Jahren der Aufbau des Urvertrauens erfolgt. Vernachlässigung oder Missbrauch treffen in dieser Phase auf eine viel hilflosere Persönlichkeitsstruktur als z.B. bei einem erwachsenen Soldaten.
Oder hat schon mal jemand einen Säugling gesehen, der sich etwas zu Essen kauft, weil die Eltern gerade ein paar Tage weg sind?

13.01.2013

Symptome III

Folgende Zustände sind bei mir einzeln, sehr plötzlich und in verschiedenen Intensitäten aufgetaucht: 


- Schwindel
- Lähmungsgefühle 
- Übelkeit
- Erstarrung
- Zittern
- Todesangst
- Weinkrämpfe
- Leere
- Resignationsgefühle
- massive Erschöpfung
- Entsetzen
- extreme Hilflosigkeit
- panische Angst davor, verlassen zu werden oder allein zu sein
- Wut
- Herzrasen
- Vergiftungsängste (z.B. in Bezug auf Nahrung, Waschmittel, Gerüche...)
- Gefühl, beschattet oder bedroht zu werden
- starkes Kältegefühl im Körper / Frieren 
- plötzliches Zucken mit blitzartig auftauchenden Bildern
- Gefühl, zusammenzubrechen
- Zittern ("inneres Beben")
- Mißtrauen gegenüber Mitmenschen
- Unfähigkeit zu sprechen
- Sehstörungen (Tunnelblick, Lichtblitze, Schleiersehen)
- völlige Entscheidungsunfähigkeit
- Alpträume
- Schlaflosigkeit
- Taubheitsgefühl (körperlich und emotional)
- "Pelziges" Körpergefühl / Kribbeln / Muskelzucken
- Angst davor, durchzudrehen
- Gefühl, die eigene Identität würde zerbrechen / sich auflösen
- unendliches Verlorenheitsgefühl
- unerträgliche Einsamkeit
- Angst vor Kontrollverlust 
- Erstickungsangst
- Gefühl, plötzlich würde die Seele "schwarz werden"
- extreme Müdigkeit 
- Verzweiflung
- körperliche Schmerzen / Gliederschmerzen 
- Muskelverspannungen
- seelischer Schmerz
- Schweißausbrüche
- Gefühl von extremer Schutzlosigkeit
- Suizidgedanken
- Gefühle von Sinnlosigkeit und Hoffnungslosigkeit
- drängende, quälende Gedanken von Schuld und Scham
- plötzlich auftauchende Bilder (blau anlaufen, erbrechen, zusammenbrechen, sterben, plötzlich hochgerissen werden) 
- "Körperbilder" (z.B. fühlt sich der Körper bei bestimmten Angstzuständen an, als würde man wie ein Säugling mit abgewinkelten Extremitäten auf dem Rücken liegen, dabei habe ich vornübergebeugt auf dem Fahrrad gesessen und bin "normal" gefahren. Häufig sind auch Angstzustände aufgetaucht, in denen ich das Gefühl hatte, der Körper würde in verschiedene Teile zerfallen. Das scheint meines Wissens nach ein sehr typisches Symptom bei frühkindlichen Traumata zu sein.) 

Diese Aufzählung kann je nach Art, Intensität und Lebensphase bei Erleben des Traumas sehr unterschiedlich ausfallen. Bei mir war das auslösende Ereignis ein frühkindliches Trauma mit einem oder mehreren Gewalterlebnissen und anschließender emotionaler Vernachlässigung.

Einige Symptome gehören meines Erachtens nicht zu den Intrusionen, sondern eher zu den "sekundären" Symptomen (dazu mehr in einem anderen Beitrag), deswegen zähle ich sie hier seperat auf:
zwanghafte Rituale (Versuche, die Kontrolle wiederzuerlangen oder die Gedanken "wegzuwaschen")
inneres Chaos
extreme Konzentrationsstörungen
das Gefühl, verrückt zu werden
Hyperarousal
Hypervigilanz
Schlaflosigkeit (meist in den ersten 6-8 Wochen, pro Nacht ungefähr 2-3 Stunden Schlaf)
deutliche Gewichtsabnahme 

Diese Gefühlszustände drücken sich zum Teil sehr stark in "Körperbildern" aus und ich denke, das ist auch einer der Gründe, warum traumatische Zustände körperlich so belastend sind. Es ist schon vorgekommen, dass ich nach einem langen Weinkrampf nur noch zwei Stunden an die Wand gestarrt habe, weil mein Kopf und mein Körper "leer" waren. Es war einfach keine Energie mehr übrig, etwas zu fühlen oder sich zu bewegen.
Eine zusätzliche Schwierigkeit bei der Bewältigung dieser Störung ist die Tatsache, dass immer wieder neue, veränderte Zustände auftauchen, auf die man sich "einstellen" muss. Man könnte auch sagen, es wird einem nie langweilig mit dieser Krankheit.

Für das soziale Umfeld ist es oft schwierig nachzuvollziehen, "warum" der Betroffene plötzlich so panische Angst hat und oft soziale Aktivitäten meidet. Ich habe mich auch oft gefragt, warum ich zum Beispiel in dem CD-Laden, wo so nette Leute arbeiten, immer wieder Angstattacken bekommen habe. Vielleicht hilft dieses Erklärungsmodell: der Erkrankte hat nicht Angst VOR der konkreten Situation, sondern die Ängste tauchen bei unterschiedlichen Gelegenheiten auf, weil irgendein Reiz die "alten", in der Kapsel "eingefrorenen" Angstgefühle aus der vergangenen traumatisierenden (und noch nicht verarbeiteten) Situation triggert. Diese fluten dann plötzlich heraus und können wirklich in jeder erdenklichen Situation (beim Sport, beim Entspannen auf der Couch, während des Einkaufens, beim Sex, während eines Wellnesstages,...) blitzartig auftauchen.
Und der daraus oft resultierende soziale Rückzug ist keine freiwillige (!) Entscheidung des Betroffenen (wie so oft bei seelischen Erkrankungen), sondern eher ein "Wollen-aber-nicht-Können" und ein Zeichen von Hilflosigkeit und Resignation. Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen, dass es extrem wichtig ist, diesen Umstand  seinen Freunden / Bekannten zu vermitteln, weil sonst relativ schnell Unverständnis aufkommt, warum man denn nicht zur Party oder zu spät zum gemeinsamen Essen gekommen ist. 


07.12.2012

Symptome II

Was geschieht bei einem Flashback im Kopf des Betroffenen?
Man wird sehr plötzlich von heftigen Ängsten, sich aufdrängenden entsetzlichen Bildern und "Körperzuständen" heimgesucht. Diese können durch bestimmte Situationen und Reize getriggert werden. Ich habe festgestellt, dass bestimmte Situationen (z.B. eigentlich positive Erlebnisse, viele Menschen), akustische Reize (z.B. vorbeifahrende Güterzüge), Gerüche (z.B. Benzin), aber auch Temperaturwechsel, bestimmte Bewegungen, einige Gegenstände (z.B. Mülltonnen, Batterien) oder psychotrop wirksame Lebensmittel (Kaffee, Bier) diese Zustände auslösen können. Paradoxerweise drängen diese Ängste auch dann an die Oberfläche, wenn man sich eigentlich gerade in einer ruhigen Umgebung befindet. Die Annahme, dass man einfach mal zu Hause bleibt und dort Ruhe finden kann, trifft also nicht auf diese Art der Störung zu. In meiner Wohnung habe ich mit die schlimmsten Flashbacks erlebt.

Viele Zustände hören so plötzlich auf, wie sie beginnen, andere steigen im Körper auf und beenden sich durch kurzes Zucken oder Weinkrämpfe. Manche dauern nur zwei Sekunden, manche einen halben oder sogar ganzen Tag. Nun könnte man als Nichtbetroffener sagen, solche Gefühle kennt doch jeder mal, allerdings unterscheidet sich dieses traumatische fragmentarische Wiedererleben deutlich von "normalen" Ängsten und Gefühlszuständen: 
1) Sie kommen sehr plötzlich und intensiv und überschwemmen den Betroffenen. Sie sind nicht beherrschbar (z.B. durch ruhige Atmung), man kann sie nur vorüberziehen lassen. Es fühlt sich oft an wie ein Elektroschock oder eine Entladung.  
2) Sie "passen" oft nicht zur Situation. Zum Beispiel kann eine freundliche Frage plötzlich zu völlig paranoiden Zuständen führen. 
3) Sie haben ausnahmslos eine "traumatische Aura". Egal, ob ich Angst, plötzliche Erschöpfung oder körperliche Schmerzen erlebt habe, alle sind in einem atmosphärischen Zustand aufgetaucht, in dem "etwas nicht stimmt." (Was auch die Bezeichnung "Sturz aus der Normalität" gut erklärt. Man wird immer wieder aus seinem normalen Alltag "herausgerissen".) 
4) Alle hören nach einer Zeit wieder auf, entweder spontan, durch Muskelzucken oder Weinen. 
5) Die Gefühlszustände erscheinen vor Allem zu Beginn unerträglich und  unendlich. Man wird von dem Gefühl überschwemmt und befürchtet, daran zu zerbrechen, es nicht auszuhalten oder verrückt zu werden. Ich hatte auch oft den Eindruck, ich würde kollabieren, weil der Körper diese Belastung nicht aushält.
6) Viele Gefühle drängen sehr stark durch den Körper nach oben, "entladen" sich dann oft durch Bewegung oder Wechsel der Körperhaltung. Und sie verändern immer wieder unkontrollierbar ihr Thema.
7) Die Angstzustände kosten körperlich sehr viel Kraft und oft ist der Kopf danach "leer".
(Diese Aufzählung speist sich aus meiner eigenen Erfahrung und kann je nach Art des Traumas unterschiedlich ausfallen, zum Beispiel spielt selbstschädigendes Verhalten bei Missbrauchserfahrungen eine große Rolle.)

Symptome I

Während Menschen mit einer Depression oder einer neurotischen Störung meistens relativ "konstante" Symptome haben, zeigt sich die PTBS bzw. Traumafolgestörung in einem bunten Strauß von verschiedenen Zuständen, die plötzlich ohne Vorwarnung über einen hereinbrechen und in jeder Situation auftreten können. "Dazwischen" sind die Betroffenen oft fast symptomlos und je nachdem, welche Seite Freunde oder Bekannte häufig mitbekommen, unterschätzen sie den Schweregrad dieser Erkrankung.
Vielleicht entsteht auch der Eindruck, es würde sich nur um eine leichte Befindlichkeitsstörung handeln und erst eine Depression wäre eine "richtige Erkrankung". An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass mir so etwas in der Art auch schon unterstellt wurde. Mittlerweile ist mir einfach klar, dass diese komplexe Erkrankung eigentlich nur diejenigen nachvollziehen können, die sie ebenfalls erleben. Dieses plötzliche Auftauchen der Flashbacks, diese unendliche Heftigkeit und Unberechenbarkeit macht diese Krankheit so extrem schwierig. 
Ich war wegen dieser Symptome und der Überwachheit zu Beginn (6 Wochen lang 2-3 Stunden Schlaf pro Nacht und 7 kg Gewichtsverlust) und danach fast ein Jahr lang nicht in der Lage, Verabredungen, Termine oder Einladungen zu Partys zuverlässig wahrzunehmen bzw. an einigen Tagen überhaupt die Wohnung zu verlassen. Das Studium musste ich abbrechen, weil dieser "Terror im Kopf" es unmöglich machte, Seminararbeiten zu erstellen. (Interessant daran ist ja die Analogie zur Unfähigkeit von Traumatisierten, das Erlebte in Worte zu fassen.)
Die Intrusionen haben mich je nach Intensität so viel Energie gekostet, dass ich froh war, die 400 Meter bis zum Bäcker zu schaffen, um nicht zu verhungern. Ich glaube, diese Beschreibungen sprechen für sich und jeder, der behauptet, diese Symptome seien auf Selbstmitleid oder selbstgewählte "Reinsteigerungsorgien" zurückzuführen, ist entweder dumm oder einfach nur ignorant. 

Es kann Ihnen also als Freund / Bekannter passieren, dass Sie sich mit einem Erkrankten verabreden und er Ihnen munter zusagt, dann aber nicht pünktlich oder gar nicht kommen kann, weil ihn beim Verlassen der Wohnung ein so heftiger Flashback ereilt hat, dass er weinend zusammengebrochen ist. Es ist für Außenstehende schwer nachvollziehbar, dass diese entsetzliche Angst / Erstarrung / Lähmung nicht unbedingt direkt etwas mit dieser Situation zu tun hat, sondern ein Gefühl triggert, was dann aus dieser eingeschlossenen Kapsel, die die traumatischen Emotionen beherbergt, herausbricht. 

Suche nach Worten

"Komm, reiß Dich doch mal zusammen!" 
"Stell Dich nicht so an!"
"Andere haben auch Probleme!"

Würden diese Menschen, die so etwas sagen, einem Menschen, der im Rollstuhl sitzt, sagen, er solle doch einfach mal aufstehen und loslaufen? 

Wohl nicht. 


Die Diagnose PTBS wurde bei mir 2010 gestellt und ich möchte in diesem Weblog versuchen, dem "namenlosen Grauen" ein paar Worte entgegenzusetzen. 

Die Texte beschreiben eigene Erlebnisse, Gefühle und Gedanken, ergänzt durch Erkenntnisse aus dem therapeutischen Prozess. Sie können keine Therapie ersetzen, sondern sollen hier lediglich zum besseren Verständnis dieser Störung beitragen. Ich versuche so gut es geht, subjektive Interpretationen als solche zu kennzeichnen und auf wissenschaftliche Quellen - soweit mir bekannt und zugänglich - zu verweisen.